Das weiße Schloss
von Talula | Monheim | 62 mal gelesen
Hier stehe ich. Bereit zum Sprung.
Hier stehe ich jetzt. Mit unbeweglicher Miene. Beide Arme ausgebreitet, bereit zum Sprung. Ich warte nur noch auf den einen, den richtigen Moment. Aufmerksam halte ich die Nase in den Wind. Schnuppere in die Tiefe, die sich vor mir auftut.
Unberührt von den vielen Menschen, die um mich herumstehen. Wenn ich nach rechts oder links schaue, schaue ich in namenlose Gesichter. Sie spiegeln ungläubiges Erstaunen wieder. Mit unverhohlener Neugier starren sie in meine Richtung, denn sie wollen ihn nicht verpassen. Den Augenblick meines Sprungs.
In Gedanken stelle ich ihn mir wieder und wieder vor. Den Moment, in dem die Füsse den Boden verlieren. Abheben. Wie lange schon habe ich davon geträumt. Mir immer wieder vorgestellt, wie ich es endlich tue. Springen.
Vor meinem inneren Auge erscheint ein klares Bild des Schlosses, das seit über hundert Jahren die gesamte Gegend in seinen Bann zieht. Schon bei der Auffahrt mit der Seilbahn zum Gipfel des Tegelbergs schien es mir zuzulächeln. Es ermunterte mich. Sprach mir Mut zu. „Komm, ich warte auf dich! Sieh mich an, ich bin ein Wunderwerk und mein Schöpfer war ein phantastischer Träumer.“
So wie ich.
Von meinem Platz aus ist es jetzt nicht zu sehen. Aber ich weiß es in meiner Nähe und sein Zauber wird mich begleiten. Schneeweiß ist es. Verspielt, mit Türmchen und Zinnen. Gebaut auf einem kleinen Berg, fast nur ein Hügel, umgeben von weit höheren Gipfeln, von Seen und Wäldern und einer beeindruckenden Schlucht. Hier endet das flache Land. Hier erheben sich die Berge in den Himmel und schenken den Menschen der Gegend tagtäglich einen berauschenden Anblick.
Schloss Neuschwanstein. Schon von weitem erspäht man es, unwirklich, scheinbar schwebend vor dem Hintergrund des grün bewachsenen Höhenzugs. Unbeirrbar läßt es zahllose Besucher täglich über sich ergehen. Lädt sie ein zum Staunen. Und Träumen. Und Fabulieren. Unvollendet ist es und doch so prächtig. Sein Bauherr ist längst tot. Nie hat er es bewohnt, nie hat er ihn mit Leben gefüllt, seinen Traum vom perfekten Schloss.
Aber ich, ich lebe meinen Traum.
Jetzt endlich ist es soweit. Wind kommt auf. Noch einmal sehe ich mich um, nach rechts und nach links. Mein Blick erhascht ein aufmunterndes Nicken. Jetzt!
Ich breite meine Arme aus. Laufe los. Ein Schritt, noch einer. Schneller. Und dann spüre ich, wie meine Füße den Boden verlassen. Die nächsten Schritte gehen ins Leere. Fest und mit aller Kraft ziehe ich an den Leinen in meinen Händen. Ruckartig schnellen meine Arme nach unten. Dann öffnet er sich. Der Gleitschirm, den ich sorgfältig hinter mir ausgebreitet hatte, erhascht den aufsteigenden Wind und trägt mich fort. Fort vom Berg, fort von den staunenden Zuschauern.
Ein weiterer Aufwind erfasst mich. Ich fliege. Höher und höher. Eine lange Linkskurve. Und dann kann ich es sehen. So unwirklich wie mein Flug steht es da, in seiner ganzen Pracht. Aus einer wunderschönen, einzigartigen Perspektive veredelt es die Erfüllung meines lange gehegten Traums vom Fliegen.
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von Talula | Monheim | 62 mal gelesen
Hier stehe ich. Bereit zum Sprung.
Hier stehe ich jetzt. Mit unbeweglicher Miene. Beide Arme ausgebreitet, bereit zum Sprung. Ich warte nur noch auf den einen, den richtigen Moment. Aufmerksam halte ich die Nase in den Wind. Schnuppere in die Tiefe, die sich vor mir auftut.
Unberührt von den vielen Menschen, die um mich herumstehen. Wenn ich nach rechts oder links schaue, schaue ich in namenlose Gesichter. Sie spiegeln ungläubiges Erstaunen wieder. Mit unverhohlener Neugier starren sie in meine Richtung, denn sie wollen ihn nicht verpassen. Den Augenblick meines Sprungs.
In Gedanken stelle ich ihn mir wieder und wieder vor. Den Moment, in dem die Füsse den Boden verlieren. Abheben. Wie lange schon habe ich davon geträumt. Mir immer wieder vorgestellt, wie ich es endlich tue. Springen.
Vor meinem inneren Auge erscheint ein klares Bild des Schlosses, das seit über hundert Jahren die gesamte Gegend in seinen Bann zieht. Schon bei der Auffahrt mit der Seilbahn zum Gipfel des Tegelbergs schien es mir zuzulächeln. Es ermunterte mich. Sprach mir Mut zu. „Komm, ich warte auf dich! Sieh mich an, ich bin ein Wunderwerk und mein Schöpfer war ein phantastischer Träumer.“
So wie ich.
Von meinem Platz aus ist es jetzt nicht zu sehen. Aber ich weiß es in meiner Nähe und sein Zauber wird mich begleiten. Schneeweiß ist es. Verspielt, mit Türmchen und Zinnen. Gebaut auf einem kleinen Berg, fast nur ein Hügel, umgeben von weit höheren Gipfeln, von Seen und Wäldern und einer beeindruckenden Schlucht. Hier endet das flache Land. Hier erheben sich die Berge in den Himmel und schenken den Menschen der Gegend tagtäglich einen berauschenden Anblick.
Schloss Neuschwanstein. Schon von weitem erspäht man es, unwirklich, scheinbar schwebend vor dem Hintergrund des grün bewachsenen Höhenzugs. Unbeirrbar läßt es zahllose Besucher täglich über sich ergehen. Lädt sie ein zum Staunen. Und Träumen. Und Fabulieren. Unvollendet ist es und doch so prächtig. Sein Bauherr ist längst tot. Nie hat er es bewohnt, nie hat er ihn mit Leben gefüllt, seinen Traum vom perfekten Schloss.
Aber ich, ich lebe meinen Traum.
Jetzt endlich ist es soweit. Wind kommt auf. Noch einmal sehe ich mich um, nach rechts und nach links. Mein Blick erhascht ein aufmunterndes Nicken. Jetzt!
Ich breite meine Arme aus. Laufe los. Ein Schritt, noch einer. Schneller. Und dann spüre ich, wie meine Füße den Boden verlassen. Die nächsten Schritte gehen ins Leere. Fest und mit aller Kraft ziehe ich an den Leinen in meinen Händen. Ruckartig schnellen meine Arme nach unten. Dann öffnet er sich. Der Gleitschirm, den ich sorgfältig hinter mir ausgebreitet hatte, erhascht den aufsteigenden Wind und trägt mich fort. Fort vom Berg, fort von den staunenden Zuschauern.
Ein weiterer Aufwind erfasst mich. Ich fliege. Höher und höher. Eine lange Linkskurve. Und dann kann ich es sehen. So unwirklich wie mein Flug steht es da, in seiner ganzen Pracht. Aus einer wunderschönen, einzigartigen Perspektive veredelt es die Erfüllung meines lange gehegten Traums vom Fliegen.
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