...oder: Wie aus einer verpfuschten Vorbereitung ein besonderer Flug wurde
Es hat schon seinen Grund, warum ich normalerweise am ersten Urlaubstag nicht gleich fliegen gehe. Die Hektik der letzten Tage vor dem Urlaub, des Packens und der Anreise mit vierköpfiger Familie steckt mir noch in den Knochen, die Erholung hat noch nicht eingesetzt, der Kopf ist nicht frei. Lieber ein paarmal in Ruhe ausschlafen, mit den Kindern spielen, gut essen – und dann fliegen gehen. Aber der Wetterbericht sagt: Heute ist der Tag, dann wird es erstmal eine Woche lang schlechter (stimmte natürlich nicht so ganz). Also los.
Dementsprechend holprig beginnt der Tag: Ich finde die offizielle Landewiese nicht; brauche eine Weile um zu kapieren, dass man mit der putzigen alten Mini-Gondelbahn von Fanas tatsächlich Drachen hochtransportieren kann; beim Einhängen des Gurtzeugs an den Drachen schießt mir die Hexe böse in Kreuz, so dass ich gleich weiß, dass ich ein paar Tage lang rumlaufen werde wie ein Fragezeichen. Und dann stelle ich fest, - - dass ich mein Vario nicht dabeihabe. Normalerweise nehme ich es im Gurtzeug mit, diesmal ist es aber in einem anderen Rucksack, und der ist im Ferienhaus. Außerdem passt der Wind nicht, er kommt die meiste Zeit 90 Grad von rechts über einen kleinen Kamm. Die erhoffte Thermik stellt sich heute nicht ein; in weitem Umkreis ist es einfach nur blau. Vor mir sind zwei andere Drachenflieger gestartet, zuletzt Marco mit seinem Skyrunner, der mir nett und geduldig erklärt hatte, wie man den offiziellen Landeplatz findet. Beide haben lange gewartet, bis eine startbare Phase kam. Beide haben, solange man sie vom Start aus sehen konnte, keine Höhe gemacht.
Jetzt stehe ich als letzter da, mein Rücken tut weh, und der Wind passt nicht. Ich will einfach nur runterfliegen, abbauen und heimfahren. Nach längerem Warten sieht es halbwegs brauchbar aus; ich renne los und komme sauber in die Luft. Beim Umsetzen der Überfahrt in Höhe fehlt das vertraute Jodeln des Varios – ach ja stimmt, hamwa heute nich…
Ohne Vario fühle ich mich irgendwie blind; mir fehlt das Gefühl dafür, ob ich „richtig“ fliege. Dass der Gurtzeug-Reißverschluss klemmt, passt zum „gefühlten Gesamt-Desaster“. Egal, landest ja eh gleich… Wie Marco empfohlen hatte, fliege ich nicht nach links zum normalen „Hus-Schluuch“ (Hausbart), sondern nach rechts Richtung Grüsch. Es geht kräftig runter, so viel ist klar. Welches ist jetzt diese verflixte Landewiese? Sieht alles gleich aus…
Auf einmal sehe ich tief unter mir Marco. Er fliegt am Ortsrand von Grüsch, aus meiner Perspektive betrachtet müsste er bald landen gehen. Na prima, dann schaue ich mir das mal an, wie der landet. Aber Marco fliegt immer hin und her und denkt gar nicht daran zu landen. Am Ortsrand von Grüsch steht eine niedrige Kante im Talwind, und die löst offenbar Aufwind aus. Ich fliege über ihn, aber es ist zwecklos, ich komme immer weiter zu ihm herunter. Oh Mann. Ohne Vario kann ich einfach nicht fliegen.
Ich ziehe nochmal mit aller Kraft an meinem Gurtzeug-Reißverschluss und trete gegen das Fußteil – immerhin, der Sack ist zu. Inzwischen bin ich praktisch auf gleicher Höhe wie Marco. Das Hinterherfliegen funktioniert nicht so recht; ich mache die Kurven immer an der falschen Stelle und verliere unterm Strich an Höhe. Die Motivation ist auf dem Tiefpunkt.
Hey, das geht so nicht. Hier ist Aufwind, der zum Fliegen reicht. Konzentrier dich. Schau auf das Gelände, achte auf deinen Drachen. Du fliegst zu schnell und viel zu verkrampft…
Ein Raubvogel zieht im Gleitflug unter mir durch. Ich fliege ihm ein Stück hinterher. Über einem Grat, der schräg von der Kante weg nach oben verläuft, zupft es deutlich am Flügel. Kurve, nicht zu steil, Blick aufs Gelände – ja, das hat was gebracht. Ein paar enge Achterschleifen über dem Grat bringen geschätzte 50 Höhenmeter. Immerhin, geht doch. Weiter so. Von nun an fliege ich meine eigene Linie, dichter am Gelände (da sieht man besser, ob man steigt) und mehr in dem Bereich des Grates, wo die Thermik nach oben zieht.
Nach einer Weile ertappe ich mich dabei, dass meine Gedanken gewandert sind, dass ich eine Zeit lang völlig intuitiv geflogen bin, als ob ich ein Vario hätte. Ich habe keine Höhe verloren, eher dazugewonnen.
Je länger der Flug dauert, desto weniger fehlt mir das Vario. Ohne dass es mir so recht bewusst geworden ist, habe ich mich mit der Umgebung auf eine neue Weise vernetzt. An die Stelle des Gekrächzes vom Compeo sind andere Signale getreten: Vor allem die Signale meines Drachens und die Betrachtung des Geländes, aber auch Vögel, eine Fahne am Boden, die anderen Piloten… Es kommen nach und nach weitere Drachen- und Gleitschirmpiloten dazu – offenbar ist unser kleiner Bereich der einzige weit und breit, wo man sich in der Luft halten kann. Die Verkrampftheit der ersten Minuten ist einer aufmerksamen Gelassenheit gewichen, die immer noch Raum lässt für die Betrachtung der Landschaft: eine wilde Schlucht neben dem Grat, Holzwirtschaft, Wiesen, Berghäuser.
Nach gut zweieinhalb Stunden beschließe ich, dass es jetzt genug ist. An einer der zahllosen Wiesen zwischen den Maisfeldern sehe ich unser Auto stehen – offenbar hat mein Vater, der sich zum Fahrdienst bereiterklärt hat (danke, Dad!), die Landewiese gefunden. Eine Weile nach mir landen auch Marco und zwei Gleitschirmflieger, die mit uns zusammen geflogen sind. Uns eint die Freude über den geschenkten Flug.
Das Fliegen ohne Vario war nicht geplant; es hat mir – unter den besonderen Bedingungen dieses hangnahen Fluges – ein besonders intensives Erlebnis beschert. Es war sehr schön, nur den Fahrtwind zu hören und trotzdem in der Luft zu bleiben. Wahrscheinlich kriegt man (soll heißen: kriege ich) das nur dann so hin, wenn das Gelände als „vertikale Orientierungshilfe“ zur Verfügung steht. Selbst dann vertut man sich manchmal und stellt nach einer Kurve fest, dass das Gewackel des Flügels diesmal doch nicht vom Aufwind kam.
Fazit:
1) Never give up.
2) Weniger ist manchmal mehr.
Nochmal DANKE an Marco für die Tips und für den angezeigten Aufwind.
Gruß
C.
Es hat schon seinen Grund, warum ich normalerweise am ersten Urlaubstag nicht gleich fliegen gehe. Die Hektik der letzten Tage vor dem Urlaub, des Packens und der Anreise mit vierköpfiger Familie steckt mir noch in den Knochen, die Erholung hat noch nicht eingesetzt, der Kopf ist nicht frei. Lieber ein paarmal in Ruhe ausschlafen, mit den Kindern spielen, gut essen – und dann fliegen gehen. Aber der Wetterbericht sagt: Heute ist der Tag, dann wird es erstmal eine Woche lang schlechter (stimmte natürlich nicht so ganz). Also los.
Dementsprechend holprig beginnt der Tag: Ich finde die offizielle Landewiese nicht; brauche eine Weile um zu kapieren, dass man mit der putzigen alten Mini-Gondelbahn von Fanas tatsächlich Drachen hochtransportieren kann; beim Einhängen des Gurtzeugs an den Drachen schießt mir die Hexe böse in Kreuz, so dass ich gleich weiß, dass ich ein paar Tage lang rumlaufen werde wie ein Fragezeichen. Und dann stelle ich fest, - - dass ich mein Vario nicht dabeihabe. Normalerweise nehme ich es im Gurtzeug mit, diesmal ist es aber in einem anderen Rucksack, und der ist im Ferienhaus. Außerdem passt der Wind nicht, er kommt die meiste Zeit 90 Grad von rechts über einen kleinen Kamm. Die erhoffte Thermik stellt sich heute nicht ein; in weitem Umkreis ist es einfach nur blau. Vor mir sind zwei andere Drachenflieger gestartet, zuletzt Marco mit seinem Skyrunner, der mir nett und geduldig erklärt hatte, wie man den offiziellen Landeplatz findet. Beide haben lange gewartet, bis eine startbare Phase kam. Beide haben, solange man sie vom Start aus sehen konnte, keine Höhe gemacht.
Jetzt stehe ich als letzter da, mein Rücken tut weh, und der Wind passt nicht. Ich will einfach nur runterfliegen, abbauen und heimfahren. Nach längerem Warten sieht es halbwegs brauchbar aus; ich renne los und komme sauber in die Luft. Beim Umsetzen der Überfahrt in Höhe fehlt das vertraute Jodeln des Varios – ach ja stimmt, hamwa heute nich…
Ohne Vario fühle ich mich irgendwie blind; mir fehlt das Gefühl dafür, ob ich „richtig“ fliege. Dass der Gurtzeug-Reißverschluss klemmt, passt zum „gefühlten Gesamt-Desaster“. Egal, landest ja eh gleich… Wie Marco empfohlen hatte, fliege ich nicht nach links zum normalen „Hus-Schluuch“ (Hausbart), sondern nach rechts Richtung Grüsch. Es geht kräftig runter, so viel ist klar. Welches ist jetzt diese verflixte Landewiese? Sieht alles gleich aus…
Auf einmal sehe ich tief unter mir Marco. Er fliegt am Ortsrand von Grüsch, aus meiner Perspektive betrachtet müsste er bald landen gehen. Na prima, dann schaue ich mir das mal an, wie der landet. Aber Marco fliegt immer hin und her und denkt gar nicht daran zu landen. Am Ortsrand von Grüsch steht eine niedrige Kante im Talwind, und die löst offenbar Aufwind aus. Ich fliege über ihn, aber es ist zwecklos, ich komme immer weiter zu ihm herunter. Oh Mann. Ohne Vario kann ich einfach nicht fliegen.
Ich ziehe nochmal mit aller Kraft an meinem Gurtzeug-Reißverschluss und trete gegen das Fußteil – immerhin, der Sack ist zu. Inzwischen bin ich praktisch auf gleicher Höhe wie Marco. Das Hinterherfliegen funktioniert nicht so recht; ich mache die Kurven immer an der falschen Stelle und verliere unterm Strich an Höhe. Die Motivation ist auf dem Tiefpunkt.
Hey, das geht so nicht. Hier ist Aufwind, der zum Fliegen reicht. Konzentrier dich. Schau auf das Gelände, achte auf deinen Drachen. Du fliegst zu schnell und viel zu verkrampft…
Ein Raubvogel zieht im Gleitflug unter mir durch. Ich fliege ihm ein Stück hinterher. Über einem Grat, der schräg von der Kante weg nach oben verläuft, zupft es deutlich am Flügel. Kurve, nicht zu steil, Blick aufs Gelände – ja, das hat was gebracht. Ein paar enge Achterschleifen über dem Grat bringen geschätzte 50 Höhenmeter. Immerhin, geht doch. Weiter so. Von nun an fliege ich meine eigene Linie, dichter am Gelände (da sieht man besser, ob man steigt) und mehr in dem Bereich des Grates, wo die Thermik nach oben zieht.
Nach einer Weile ertappe ich mich dabei, dass meine Gedanken gewandert sind, dass ich eine Zeit lang völlig intuitiv geflogen bin, als ob ich ein Vario hätte. Ich habe keine Höhe verloren, eher dazugewonnen.
Je länger der Flug dauert, desto weniger fehlt mir das Vario. Ohne dass es mir so recht bewusst geworden ist, habe ich mich mit der Umgebung auf eine neue Weise vernetzt. An die Stelle des Gekrächzes vom Compeo sind andere Signale getreten: Vor allem die Signale meines Drachens und die Betrachtung des Geländes, aber auch Vögel, eine Fahne am Boden, die anderen Piloten… Es kommen nach und nach weitere Drachen- und Gleitschirmpiloten dazu – offenbar ist unser kleiner Bereich der einzige weit und breit, wo man sich in der Luft halten kann. Die Verkrampftheit der ersten Minuten ist einer aufmerksamen Gelassenheit gewichen, die immer noch Raum lässt für die Betrachtung der Landschaft: eine wilde Schlucht neben dem Grat, Holzwirtschaft, Wiesen, Berghäuser.
Nach gut zweieinhalb Stunden beschließe ich, dass es jetzt genug ist. An einer der zahllosen Wiesen zwischen den Maisfeldern sehe ich unser Auto stehen – offenbar hat mein Vater, der sich zum Fahrdienst bereiterklärt hat (danke, Dad!), die Landewiese gefunden. Eine Weile nach mir landen auch Marco und zwei Gleitschirmflieger, die mit uns zusammen geflogen sind. Uns eint die Freude über den geschenkten Flug.
Das Fliegen ohne Vario war nicht geplant; es hat mir – unter den besonderen Bedingungen dieses hangnahen Fluges – ein besonders intensives Erlebnis beschert. Es war sehr schön, nur den Fahrtwind zu hören und trotzdem in der Luft zu bleiben. Wahrscheinlich kriegt man (soll heißen: kriege ich) das nur dann so hin, wenn das Gelände als „vertikale Orientierungshilfe“ zur Verfügung steht. Selbst dann vertut man sich manchmal und stellt nach einer Kurve fest, dass das Gewackel des Flügels diesmal doch nicht vom Aufwind kam.
Fazit:
1) Never give up.
2) Weniger ist manchmal mehr.
Nochmal DANKE an Marco für die Tips und für den angezeigten Aufwind.
Gruß
C.
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